Franz Kafka - Der Schlag ans Hoftor

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  • Опубліковано 2 січ 2013
  • Franz Kafka - Der Schlag ans Hoftor
    Es war im Sommer, ein heißer Tag. Ich kam auf dem Nachhauseweg mit meiner Schwester an einem Hoftor vorüber. Ich weiß nicht, schlug sie aus Mutwillen ans Tor oder aus Zerstreutheit oder drohte sie nur mit der Faust und schlug gar nicht. Hundert Schritte weiter an der nach links sich wendenden Landstraße begann das Dorf. Wir kannten es nicht, aber gleich nach dem ersten Haus kamen Leute hervor und winkten uns, freundschaftlich oder warnend, selbst erschrocken, gebückt vor Schrecken. Sie zeigten nach dem Hof, an dem wir vorübergekommen waren, und erinnerten uns an den Schlag ans Tor. Die Hofbesitzer werden uns verklagen, gleich werde die Untersuchung beginnen. Ich war sehr ruhig und beruhigte auch meine Schwester. Sie hatte den Schlag wahrscheinlich gar nicht getan, und hätte sie ihn getan, so wird deswegen nirgends auf der Welt ein Beweis geführt. Ich suchte das auch den Leuten um uns begreiflich zu machen, sie hörten mich an, enthielten sich aber eines Urteils. Später sagten sie, nicht nur meine Schwester, auch ich als Bruder werde angeklagt werden. Ich nickte lächelnd. Alle blickten wir zum Hofe zurück, wie man eine ferne Rauchwolke beobachtet und auf die Flamme wartet. Und wirklich, bald sahen wir Reiter ins weit offene Hoftor einreiten. Staub erhob sich, verhüllte alles, nur die Spitzen der hohen Lanzen blinkten. Und kaum war die Truppe im Hof verschwunden, schien sie gleich die Pferde gewendet zu haben und war auf dem Wege zu uns. Ich drängte meine Schwester fort, ich werde alles allein ins Reine bringen. Sie weigerte sich, mich allein zu lassen. Ich sagte, sie solle sich aber wenigstens umkleiden, um in einem besseren Kleid vor die Herren zu treten. Endlich folgte sie und machte sich auf den langen Weg nach Hause. Schon waren die Reiter bei uns, noch von den Pferden herab fragten sie nach meiner Schwester. Sie ist augenblicklich nicht hier, wurde ängstlich geantwortet, werde aber später kommen. Die Antwort wurde fast gleichgültig aufgenommen; wichtig schien vor allem, daß sie mich gefunden hatten. Es waren hauptsächlich zwei Herren, der Richter, ein junger, lebhafter Mann, und sein stiller Gehilfe, der Aßmann genannt wurde. Ich wurde aufgefordert in die Bauernstube einzutreten. Langsam, den Kopf wiegend, an den Hosenträgern rückend, setzte ich mich unter den scharfen Blicken der Herren in Gang. Noch glaubte ich fast, ein Wort werde genügen, um mich, den Städter, sogar noch unter Ehren, aus diesem Bauernvolk zu befreien. Aber als ich die Schwelle der Stube überschritten hatte, sagte der Richter, der vorgesprungen war und mich schon erwartete: »Dieser Mann tut mir leid.« Es war aber über allem Zweifel, daß er damit nicht meinen gegenwärtigen Zustand meinte, sondern das, was mit mir geschehen würde. Die Stube sah einer Gefängniszelle ähnlicher als einer Bauernstube. Große Steinfliesen, dunkel, ganz kahle Wand, irgendwo eingemauert ein eiserner Ring, in der Mitte etwas, das halb Pritsche, halb Operationstisch war.
    Könnte ich noch andere Luft schmecken als die des Gefängnisses? Das ist die große Frage oder vielmehr, sie wäre es, wenn ich noch Aussicht auf Entlassung hätte.
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КОМЕНТАРІ • 6

  • @NancyMarone
    @NancyMarone 11 років тому +2

    Ich finde es zeigt sich halt gerade in dieser Geschichte.
    Sie zeigt sehr genau auf, wie verletzlich und hilflos wir eigentlich sind, wenn Systeme wie Vernunft oder Gerechtigkeit einfach keine allgemeine Anerkennung erfahren und der Mensch als solcher der Willkür von Masse und Macht ausgesetzt ist. Wie schnell die Mechanismen auf die wir uns wie selbstverständlich verlassen außer Kraft gesetzt sein können und was das dann für uns bedeutet.

  • @instrumentenfreak
    @instrumentenfreak 11 років тому +1

    Schön :-)

  • @Urtegurke
    @Urtegurke 10 років тому +1

    So grandios erzählt, vielen Dank

    • @EAPoeProductions
      @EAPoeProductions  10 років тому

      Ich habe zu danken werter Freund! Möget Ihr allzeit wenn Ihr mir die Ehre Eures Lauschbesuches erweist ebenso gut unterhalten werden.
      Stets der Eure
      E.A.P.

  • @NancyMarone
    @NancyMarone 11 років тому +1

    Wenn man sich immer vor Augen hält, aus welcher Zeit und Situation heraus Kafka sowas geschrieben hat und dann die Entwicklung der momentanen Welt dagegen abgleicht, dann finde ich ihn im höchsten Maße verstörend.

  • @martinrasinger6306
    @martinrasinger6306 3 роки тому +1

    Diese Stimmlage passt hier gar nicht. Gelesen wie ein Komiker.