Vergessene Erinnerung - Stadtkapelle Schongau

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  • Опубліковано 21 жов 2024
  • Vergessene Erinnerung
    Marcus Graf
    Uraufführung
    Stadtkapelle Schongau (live)
    Jubiläumskonzert 60 Jahre Stadtkapelle
    09.04.2023 in der Lechsporthalle Schongau
    Das Tongemälde kann als eine musikalische Wegbeschreibung oder als eine akustische Dokumentation bezeichnet werden. Das 12-minütige Werk zeichnet - musikalisch stark zusammengefasst - die erlebten Erfahrungen und Gefühle der letzten sechs Lebensjahre meiner an Demenz erkrankten Mutter nach - vom schleichenden Beginn bis zur völligen Abwesenheit. Nach einer Umspielung der Prosit-Melodie - vorgetragen in einer Sopransaxophon-Kadenz, das als Einstimmung dient - erklingt ein vom ganzen Orchester beginnendes Wirrwarr (Gewitter im Kopf). Harmonische Floskeln, kurze melodische Linien und rhythmische Verschiebungen stellen den Beginn der nachlassenden Gedächtnisleistung dar. Ein krampfhaftes Sortieren der Gedanken schließt sich an, das sich mit einem Motiv aus vier Tönen über das ganze Orchester aufbaut. Ohne Ziel kreisen ständig die gleichen Gedanken herum, die jedoch wie im Nebel verborgen, oder im Ansatz stecken bleiben. Ein unaufhaltsamer Verlust der Erinnerungen ringt mit dem Faktor Zeit; es ist von Anfang an ein verlorener Wettlauf gegen die Zeit. Der Verlust von grundlegenden Bedürfnissen wie zum Beispiel das Durstlöschen setzt ein und spiegelt den Anfang vom Verlust der Selbstständigkeit wider. Die Aufmunterung oder die Animation zum Trinken gelang bei meiner Mutter mit dem Singen des Trinkliedes „Ein Prosit“ über einen langen Zeitraum. Harmonisch und rhythmisch aufgepeppt kommt das Lied zum Schwanken, was eine unfreiwillige Situationskomik darstellen soll. Schon das Halten eines Trinkgefäßes wird zur neuen Herausforderung und die Anstrengung Flüssigkeit aufzunehmen wird immer deutlicher. Der Zustand der Abwesenheit verstärkte sich und die Aufmerksamkeit konnte oftmals nur mit Erinnerungen an die früheren Zeiten aufrechterhalten werden, welche in Form eines Dixie im Tanzmusikstyle dargestellt wird. Bei den Angehörigen macht sich Frust breit, der von tiefen Seufzern dargestellt wird und in einem anschwellenden schrillen Akkord zum Stehen kommt, welcher die Ohnmacht der Angehörigen darstellt. Das Singen von alten Liedern zeigte oftmals positive Reaktionen. Die Textsicherheit meiner Mutter verblüffte mich jedes Mal aufs Neue und motivierte mich dadurch das Gedächtnis mit ihr zu üben. Mit dem Lied „Grün, grün, grün sind alle meine Kleider“ endet das Lied mit der jeweiligen Farbe in einer Frage, welche Assoziation sie zu welcher Farbe hat. Die Antworten blieben jedoch meist aus… Eine verzweifelte Suche nach Erinnerung stellt sich ein, das sich in Form von einer Suche im Orchesterzusammenspiel präsentiert, sich aber leider nur schwer bis gar nicht findet. In Erinnerungen werden fiktive Besucher erwartet, die im Lied „Heut' kommt der Hans zu mir“ in Variationen erklingen. Die erwarteten Besucher waren oftmals aus dem näheren Umfeld, konnten aber auch Personen von lang zurückliegenden Bekanntschaften sein. Durch das Leben in alten Erinnerungen und wenig Anteilnahme am Hier und Jetzt ist der Schritt zum Rollstuhl aus Sicherheitsgründen unausweichlich. Eine kurze Fuge mit steifen Staccatolinien, heftigen Tonwiederholungen und wildem Schlagzeugzwischenspiel zeichnen das krampfhafte Umklammern wie zum Beispiel eines Kuscheltieres oder das Festhalten an einem Mobiliar nach. Doch kurze, lichte Momente blitzen immer wieder auf, die sich musikalisch zwischen Polka- und Dixie-Style abwechseln. Die Entfremdung zum einst geliebten Menschen ist stark fortgeschritten und lässt die Angehörigen tief verzweifelt in einer finsteren Leere zurück. Quer durch das Orchester verteilt erklingen ausgehaltene Töne und suchen eine Verbindung zu einer Glockenspielmelodie, in die das Orchester mit einem einstimmig gesungenen Ton einstimmt und bis zum Absterben verklingt. Die Kommunikation hatte sich inzwischen nur noch auf Augenkontakt und Fühlen reduziert. Akustische Signale wie Sprache und Musik zeigten keine Reaktion und Resonanz mehr; das Erkennen des eigenen Sohnes bleibt aus (Vergessene Erinnerung), das einen großen Schmerz und Fassungslosigkeit bei allen Angehörigen hinterlässt. Es bleiben nur Gedanken und Erinnerungen übrig, die durch das Lied „All mein Gedanken die ich hab“ in unterschiedlichen Facetten und Klangfarben erscheinen. Die Angehörigen teilen sich den Gedanken das an Demenz erkrankte Familienmitglied weiterhin in Würde zu versorgen und versorgt zu wissen. Ein Huldigungsmarsch stellt die Würdigung an meiner Mutter dar, welcher jedoch nur ein schwacher Trost ist oder den Trost in der eigenen Schwäche sucht. Mit der Komposition „Vergessene Erinnerung“ soll nicht nur die tragische Leidensgeschichte meiner Mutter musikalisch nachgezeichnet sein, sondern ich möchte mich hiermit bei allen Pflegerinnen und Pflegern auf das herzlichste bedanken, die sich in besonderem Maße um alle Demenz erkrankten Menschen kümmern und sich ihrer annehmen. Marcus Graf

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