Kulturradio rbb (Berlin - Brandenburg) 18.04.2015 Andreas Göbel Bühne Philharmonie Berlin | Kammermusiksaal: Alice Sara Ott und Francesco Tristano Das neue Traumpaar der Klaviermusik? Die Show stimmte, aber musikalisch blieben etliche Wünsche offen. Bewertung: ** Traumpaare in der Klassik werden gerne zwischen Sängern konstruiert. Hier könnte eines auf schwarzen und weißen Tasten hinzukommen: Alice Sara Ott und Francesco Tristano fallen sich jedenfalls nach jedem Stück in die Arme und schauen einander bei der Zugabe halb pubertär verliebt an. Man spürt deutlich: Hier wurde sehr darüber nachgedacht, wie man den Abend präsentieren will - angefangen bei der Beleuchtung: Das Licht ist extrem heruntergedimmt bis auf das Allernötigste auf der Bühne; ein bisschen Blau ist auch eingemischt. Bis hin zu Kleidung: Alice Sara Ott ist barfuß und mit freiem Rücken, Francesco Tristano trägt ein Jackett über einem T-Shirt. Das soll wohl eine gewisse Lockerheit und Coolness transportirt. Maurice Ravels Boléro auf zwei Klavieren darzustellen, ist eine Herausforderung. Die Bearbeitung, die Francesco Tristano selbst erstellt hat, beginnt mit einem originellen Effekt: Die kleine Trommel, die das ganze Stück über den Rhythmus hält, imitiert er, indem er eine Saite des Klaviers mit dem Finger zuhält, was ein perkussives Geräusch erzeugt. Die Schwierigkeit besteht darin, dass in diesem Stück immer das gleiche, aber nie dasselbe passiert. Das immer gleich Thema wird immer ein bisschen anders instrumentiert. In Tristanos Bearbeitung wiederholt sich auch klanglich zu viel. Erst im zweiten Teil steigert es sich geradezu orgiastisch und wird immer brutaler. Dort, wo Ravel raffiniert und ironisch zu Werke geht, ist es hier eher krawallig und nervtötend. Eine misslungene Bearbeitung. Maurice Ravel ist ein Zauberer am Klavier. Das vermittelt sich jedoch nur, wenn man ihm völlig vertraut. Der Komponist selbst hat einmal geäußert, man solle seine Musik nicht interpretieren, sondern es genüge, sie einfach zu spielen. Diesem Hinweis haben Alice Sara Ott und Francesco Tristano gründlich misstrauisch und sowohl in Ravels Bearbeitung zweier der drei Nocturnes von Claude Debussy als auch in Ravels eigener Klavierfassung von La Valse versucht, extrem viel Emotion hineinzubringen. Dort, wo einfach der Anschlag die Farbigkeit erzeugt hätte, gab es plötzlich aufwallende Romantik und Herzschmerz. Viel zu schnell war es viel zu laut. Und gerade das, was Ravel ausmacht: das Knappe, Unsentimentale, wenn in La Valse der Wiener Walzer sarkastisch in den Abgrund rauscht, wirkte es hier nur aufgedonnert. Klavier spielen können beide exzellent; technisch blieben keine Wünsche offen, aber Ravel zu spielen bedeutet immer der Gang in die Höhle des Löwen, und hier wollte der Löwe nicht durch den brennenden Reifen springen. Nach der Pause präsentierten die beiden Pianisten ein Werk von Francesco Tristano selbst - eine Suite mit dem Titel A Soft Shell Groove. Dahinter verbirgt sich eine Mischung aus Easy Listening, Classical Pop, Fahrstuhlklassik und Minimal Music. Das ist alles sehr rhythmisch und tut mitunter so, als sei es vom Jazz beeinflusst. Einen traurigen Höhepunkt erreicht die Darbietung, als Alice Sara Ott das Publikum zum Mitklatschen auffordert. Hier verbietet sich jeder weitere Kommentar. Der Titel des Programms, Scandale, bezieht sich auf den Skandal, den die Uraufführung von Igor Strawinskys Ballett Le Sacre du Printemps vor einem guten Jahrhundert ausgelöst hatte. Strawinskys Werk ist eruptiv und rhythmisch intensiv, vor allem aber schillernd, glitzernd und funkelnd instrumentiert. Diese vielen Instrumente auf „nur“ zwei Klavieren darzustellen, ist alles andere als leicht. Wie es gehen kann, haben vor Jahresfrist Martha Argerich und Daniel Barenboim gezeigt: ein Spiel mit Strukturen und Farben, ein wunderbarer Dialog zweier musikalischer Freunde. Bei Alice Sara Ott und Francesco Tristano ist von dem Werk nur die Brutalität geblieben. Beide erreichen rasch eine geradezu unvorstellbare Lautstärke; presslufthammerartig wird in die Tasten gedroschen - und damit das Stück weit unter Wert verkauft. Wenn dieser Abend etwas gezeigt hat, dann dies, wie schwierig es ist, auf die Schnelle ein neues Klavierduo zu etablieren. Klavierduos wie Tal/Groethuysen oder Grau/Schumacher sind da jedoch der Maßstab, und davon sind Ott/Tristano noch weit entfernt. Wenn beide wirklich auf längere Sicht ein festes Duo bilden wollen, haben sie noch viel Arbeit vor sich. Andreas Göbel, kulturradio rbb
最近コンサートに行って彼のことを知ったので、動画が見られてうれしいです。感動再び!
Classe italiana, sei grande francesco.
¡Excelente grabación! Muchas gracias por compartirla.
Kulturradio rbb (Berlin - Brandenburg) 18.04.2015 Andreas Göbel
Bühne
Philharmonie Berlin | Kammermusiksaal: Alice Sara Ott und Francesco
Tristano
Das neue Traumpaar der Klaviermusik? Die Show stimmte, aber musikalisch
blieben etliche Wünsche offen.
Bewertung: **
Traumpaare in der Klassik werden gerne
zwischen Sängern konstruiert. Hier könnte eines auf schwarzen und weißen
Tasten hinzukommen: Alice Sara Ott und Francesco Tristano fallen sich
jedenfalls nach jedem Stück in die Arme und schauen einander bei der
Zugabe halb pubertär verliebt an.
Man spürt deutlich: Hier wurde sehr darüber nachgedacht, wie man den
Abend präsentieren will - angefangen bei der Beleuchtung: Das Licht ist
extrem heruntergedimmt bis auf das Allernötigste auf der Bühne; ein
bisschen Blau ist auch eingemischt. Bis hin zu Kleidung: Alice Sara Ott
ist barfuß und mit freiem Rücken, Francesco Tristano trägt ein Jackett
über einem T-Shirt. Das soll wohl eine gewisse Lockerheit und Coolness
transportirt.
Maurice Ravels Boléro auf zwei
Klavieren darzustellen, ist eine Herausforderung. Die Bearbeitung, die
Francesco Tristano selbst erstellt hat, beginnt mit einem originellen
Effekt: Die kleine Trommel, die das ganze Stück über den Rhythmus hält,
imitiert er, indem er eine Saite des Klaviers mit dem Finger zuhält, was
ein perkussives Geräusch erzeugt.
Die Schwierigkeit besteht darin, dass in diesem Stück immer das
gleiche, aber nie dasselbe passiert. Das immer gleich Thema wird immer
ein bisschen anders instrumentiert. In Tristanos Bearbeitung wiederholt
sich auch klanglich zu viel. Erst im zweiten Teil steigert es sich
geradezu orgiastisch und wird immer brutaler. Dort, wo Ravel raffiniert
und ironisch zu Werke geht, ist es hier eher krawallig und nervtötend.
Eine misslungene Bearbeitung.
Maurice Ravel ist ein Zauberer am Klavier. Das
vermittelt sich jedoch nur, wenn man ihm völlig vertraut. Der Komponist
selbst hat einmal geäußert, man solle seine Musik nicht interpretieren,
sondern es genüge, sie einfach zu spielen. Diesem Hinweis haben Alice
Sara Ott und Francesco Tristano gründlich misstrauisch und sowohl in
Ravels Bearbeitung zweier der drei Nocturnes von Claude Debussy als auch
in Ravels eigener Klavierfassung von La Valse versucht, extrem viel
Emotion hineinzubringen.
Dort, wo einfach der Anschlag die Farbigkeit erzeugt hätte, gab es
plötzlich aufwallende Romantik und Herzschmerz. Viel zu schnell war es
viel zu laut. Und gerade das, was Ravel ausmacht: das Knappe,
Unsentimentale, wenn in La Valse der Wiener Walzer sarkastisch in
den Abgrund rauscht, wirkte es hier nur aufgedonnert. Klavier spielen
können beide exzellent; technisch blieben keine Wünsche offen, aber
Ravel zu spielen bedeutet immer der Gang in die Höhle des Löwen, und
hier wollte der Löwe nicht durch den brennenden Reifen springen.
Nach der Pause präsentierten die beiden Pianisten ein Werk von Francesco
Tristano selbst - eine Suite mit dem Titel A Soft Shell Groove.
Dahinter verbirgt sich eine Mischung aus Easy Listening, Classical Pop,
Fahrstuhlklassik und Minimal Music. Das ist alles sehr rhythmisch und
tut mitunter so, als sei es vom Jazz beeinflusst.
Einen traurigen Höhepunkt erreicht die Darbietung, als Alice Sara Ott
das Publikum zum Mitklatschen auffordert. Hier verbietet sich jeder
weitere Kommentar.
Der Titel des Programms, Scandale, bezieht sich auf den Skandal, den die
Uraufführung von Igor Strawinskys Ballett Le Sacre du Printemps
vor einem guten Jahrhundert ausgelöst hatte. Strawinskys Werk ist
eruptiv und rhythmisch intensiv, vor allem aber schillernd, glitzernd
und funkelnd instrumentiert. Diese vielen Instrumente auf „nur“ zwei
Klavieren darzustellen, ist alles andere als leicht. Wie es gehen kann,
haben vor Jahresfrist Martha Argerich und Daniel Barenboim gezeigt: ein
Spiel mit Strukturen und Farben, ein wunderbarer Dialog zweier
musikalischer Freunde.
Bei Alice Sara Ott und Francesco Tristano ist von dem Werk nur die
Brutalität geblieben. Beide erreichen rasch eine geradezu unvorstellbare
Lautstärke; presslufthammerartig wird in die Tasten gedroschen - und
damit das Stück weit unter Wert verkauft. Wenn dieser Abend etwas
gezeigt hat, dann dies, wie schwierig es ist, auf die Schnelle ein neues
Klavierduo zu etablieren. Klavierduos wie Tal/Groethuysen oder
Grau/Schumacher sind da jedoch der Maßstab, und davon sind Ott/Tristano
noch weit entfernt. Wenn beide wirklich auf längere Sicht ein festes Duo
bilden wollen, haben sie noch viel Arbeit vor sich.
Andreas Göbel, kulturradio rbb